Brainspotting
Brainspotting ist ein relativ neues, sehr effektives körper- und beziehungsorientiertes Traumatherapie-Verfahren. Es erweist sich nicht nur zur Bearbeitung traumatischer Erfahrungen als äußerst wirkungsvolle Methode. Ein breites Spektrum an Beschwerde- und Störungsbildern lässt sich mit diesem Ansatz günstig beeinflussen. Folgende Aspekte erlauben die Kennzeichnung des Brainspotting als „neuropsychotherapeutisches“ Verfahren:
- die systematische Reflexion und der Einbezug neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in das therapeutische Vorgehen sowie die therapeutische Haltung,
- der besondere Fokus auf und die intensive Arbeit mit physiologisch-regulativen Komponenten,
- die Nutzung multimodaler (insbesondere visueller) aufmerksamkeits- und gedächtnislenkender und modulierender Verfahren.
Dies verweist weniger auf einen empirisch abgesicherten Wissensbestand, als vielmehr auf ein „Programm“, das sich im wissenschaftlichen Forschungs-Praxis-Dialog lebendig entwickelt und das die untrennbare „neuro-psychische“ Einheit des „Mensch Seins“ konsequent berücksichtigt.
Brainspotting als systematische Traumabehandlungs-Methode wurde von dem New Yorker Psychoanalytiker Dr. David Grand 2003 eher zufällig bei der Arbeit mit einer 16jährigen Eiskunstläuferin entdeckt. Er arbeitete damals mit ihr mit dem von ihm entwickelten „Natural Flow EMDR“, d.h. er „scannte“ sehr langsam ihr Gesichtsfeld, während sie sich in Zeitlupe das regelmäßige Scheitern des „tripple loop“ auf der Eisbahn vorstellte. An einem bestimmten Blick-Orientierungspunkt, den er später „Brainspot“ nannte, begannen ihre Augen „einzufrieren“ und zu flattern.
Während er mit der Armbewegung genau an diesem Punkt innehielt, entlud sich eine Sturzflut von traumatischem Material. Es wurden auch Themen reaktualisiert, von denen er – nach regelmäßigen 90-Minuten-Sitzungen über ein Jahr lang – geglaubt hatte, sie bereits durchgearbeitet zu haben. Das traumatische Material schien aber nun auf einer tieferen Ebene neu verarbeitet zu werden. Er systematisierte diese Beobachtungen und regte seine Kollegen an, auf entsprechende Phänomene zu achten. Die Entwicklung des Brainspotting bis hin zu seiner heutigen Form nahm ihren Anfang.
Als Brainspot (Brain = Gehirn, spotting = erspähen, erblicken) wird dementsprechend die über das Gesichtsfeld auffindbare relevante Blickorientierung bezeichnet, die angesichts der Aktivierung belastender Lebenserfahrungen mit der stärksten Körper-Reaktion des Klienten ein-hergeht und dementsprechend auf die Aktivierung stress- und trauma-assoziierter Hirnprozesse schließen lässt. Im Sinne einer Aufmerksam-keitsverschiebung unterstützt die fokussierte Augenposition den inneren Dialog und somit auch den Abruf belastungsrelevanter Gedächtnisinhalte (traumaassoziierte Netzwerke und Reaktionsmuster).
Der methodische Einsatz des Visualsystems (Blickrichtung, Fokus, Aufmerksamkeitsverschiebung nach innen) unterstützen im kontrollierten Rahmen der besonderen therapeutischen Beziehung Stress- bzw. Traumaverarbeitung und somit den Ausbau der Regulationsfähigkeit des Menschen.
Der Brainspot wird durch „Scannen“ des Gesichtsfeldes ermittelt, dabei können spontan Körperempfindungen, Bilder, Gefühle oder Erinnerungen auftauchen. Während dieser Aktivierung kann es zu unterschiedlichen unwillkürlichen Reaktionsmustern („Reflexen“), wie z.B. Blinzeln, Zuckungen der Augen, Flattern, Starren, Schlucken, Gähnen, Stirnrunzeln, Schnauben, Lippenlecken oder auch Körper-Zuckungen kommen.
Die „fokussierte Aktivierung“, d.h. die Fixierung der Augenposition auf den durch den Zeigestab (Pointer) repräsentierten Brainspot erlaubt einen intensiven
„Selbstdialog“ im geschützten und Sicherheit spendenden therapeutischen Kontext. Verarbeitungsprozesse, die der Integration belastender Erfahrungen und dem Aufbau von Regulationskompetenz dienen,
können sich entfalten.